Laudatio zum Übersetzungspreis Rebekka

Die Übersetzerin Anne Emmert

Anne Emmert (1964–2024) hat auf der Leipziger Buchmesse posthum den Preis für langjähriges Übersetzen Rebekka des Freundeskreises zur Förderung literarischer und wissenschaftlicher Übersetzungen e. V. erhalten. Die Laudatio hielt unsere Lektorin Beatrice Faßbender. Hier die Rede im Wortlaut:

Laudatio Anne Emmert

Es hätte alles so schön werden können: Die wunderbare Anne Emmert erhält endlich, endlich den ihr längst gebührenden Preis für ihre Arbeit als Literaturübersetzerin. Wir alle kommen hier zusammen, ich darf ein paar Worte sagen, hebe ihre unschätzbaren und meist unterschätzten Verdienste um die internationale Literatur hervor, baue den einen oder anderen Scherz ein – vielleicht einen Insiderwitz aus unserer jahrelangen Zusammenarbeit, den nur Anne versteht –, Anne lacht ihr herrliches Lachen, dann gibt es Applaus, eine Umarmung, eine Urkunde, Fotos und ein heiteres Stehrümchen mit zwei, drei Gläsern Sekt. Ein Abendessen. Ein kleines, aber gebührendes Fest.

Dass es nun so ganz anders gekommen ist, bricht mir das Herz.

Nun sind wir aber heute hier, um Anne Emmert zu feiern. Und da will ich also mein Möglichstes tun, um Ihnen und Euch allen zu vermitteln, was sie meiner Meinung nach zu einer überaus preiswürdigen Übersetzerin macht.

*

Anfang 2015 geschah zweierlei: Zum einen erhielt Anne Emmert den ersten Auftrag von uns, vom Berenberg Verlag, zusammen mit ihrer Kollegin Astrid Becker. Zum anderen verliebte ich mich nach Bad Mergentheim. Letzteres gehört tatsächlich hierher, weil sich Bad Mergentheim im Taubertal befindet, nur wenige Kilometer flussabwärts von Creglingen und dessen Ortsteil Niederrimbach, wo Anne Emmert wohnte.

Im Mai gab Anne ihre Übersetzung ab, und in einer Mail über Organisatorisches in Sachen Lektorat fügte ich als PS hinzu: „Gerade neulich war ich übrigens in Creglingen, weil mir mein Freund, der in Bad Mergentheim wohnt, den Riemenschneider-Altar zeigen wollte. Eine wirklich bezaubernde Gegend!“ Anne antwortete: „Das ist ja ein Zufall! Ja, der Riemenschneider öffnet unsere sehr abgelegene Gegend doch ein bisschen in die große weite Welt.“

Drei Monate später, an einem warmen Sommertag, wurden mein heutiger Mann und ich von Anne und Günter Emmert in Niederrimbach zum Kaffee empfangen. Das Dorf liegt sehr hübsch zwischen den Hügeln des hier tatsächlich „lieblichen Taubertals“, vom Emmert’schen Hofgarten aus schaut man auf Kirchturm und besagte Hügel. Hühner (und ein Hahn) liefen herum, Katzen schlichen uns um die Beine, der Hund war wohl im Haus, den haben wir erst später kennengelernt.

Inzwischen wusste ich ein bisschen mehr über Anne Emmert. Über Dr. Anne Emmert, so viel Zeit muss sein, sie promovierte in Würzburg über den irischen Dramatiker Brian Friel. Zum Übersetzen kam sie, weil das eine Arbeit war, die sich auch mit zwei kleinen Kindern irgendwie bewerkstelligen ließ. Es fing an mit Kinder- und Jugendbüchern, dann kamen Sachbücher und Belletristik hinzu. Rund 150 Bücher hat Anne Emmert in ihrem zu kurzen Leben übersetzt, vor allem Sachbücher. Das war zum einen ihre Leidenschaft, zum anderen wusste sie aber auch um die Schattenseiten dieses Schwerpunkts: In den Lektoraten der Verlage etwa wird man gern festgelegt, als dies oder das abgespeichert – wer Sachbücher übersetzt, den fragt man nicht nach Lyrik. Ein bisschen wird mitunter wohl auch gedacht: Sie übersetzt ja „nur“ Sachbücher, keine „Literatur“. Sachbuchübersetzer:innen werden in Rezensionen, wenn überhaupt, nur in der Bibliografie genannt, und Preise gibt es üblicherweise auch nicht, da war Anne keine Ausnahme. Immerhin aber erhielt sie hier und da Arbeits- und Reise-Stipendien.

Eines davon, das renommierte Brockes-Stipendium – mit dem der Deutsche Übersetzerfonds erfahrenen Übersetzer:innen eine „schöpferische Auszeit“ ermöglicht –, nutzte Anne Emmert, um in einem Essay darüber nachzudenken, was es eigentlich heißt, Sachbücher zu übersetzen. Der ist im Mai 2023 im verdienstvollen Online-Magazin für übersetzte Literatur Tralalit erschienen und sei hiermit Ihnen und Euch allen sehr empfohlen. Etwa, weil man darin lernt, wie es mit der Trennung von fiction und non-fiction überhaupt angefangen hat und was das Sachbuch von der Belletristik unterscheidet (etwa der Wirklichkeitsbezug). Vor allem aber, weil Anne darin anhand von vielen Beispielen aus der eigenen Arbeit mit der Vorstellung aufräumt, dass das Übersetzen von Sachbüchern weniger literarisch, weniger herausfordernd sei als das Übersetzen von Belletristik. Auch im Sachbuch kann es mehrere, ganz unterschiedliche Stimmen und Erzählhaltungen geben, werden „Fakten oder Meinungen referiert, Zeuginnen befragt, Gewährsleute zitiert, eigene Erlebnisse und Erfahrungen eingebracht, Anekdoten erzählt. Entsprechend verändern sich Haltung und Ton: Er kann dozierend, nachdenklich, belustigt, ironisch, anklagend, arrogant, betroffen, wütend oder polemisch sein, manchmal alles in einem Buch.“ Als Beispiel dafür, wie literarisch es im Sachbuch zugehen kann, zitiert Anne aus ihrer Übersetzung von Laurie Pennys Buch Sexuelle Revolution (erschienen bei Nautilus):

… diese hauchdünnen Scheibchen echter wissenschaftlicher Forschung sind im schweren Frittierteig zweckmäßiger Fiktionen gewälzt, in überliefertem Wissen ausgebacken und mit der Spezialsoße populärer Vorurteile übergossen, damit sie für all jene, die den Mund schon mit tröstlichen Lügen voll haben, leichter zu schlucken sind. Das Zeug ist nicht gut für uns. Am Ende setzt es sich als Verkalkung am Herzen ab.

Anne schlussfolgert:

Als hybrides Genre stellt das Sachbuch besondere Anforderungen an die Übersetzerin: Neben sprachliche und stilistische Überlegungen tritt die intensive Auseinandersetzung mit Weltwissen, Mutmaßungen, Meinungen, kulturellen Diskursen. Diese Kombination aus literarischer Gestaltung und intensivem Wirklichkeitsbezug setzt das Sachbuch von der Fiktion ab. Allerdings sind die Grenzen zur Fiktion fließend, besonders in Hinblick auf Erzählstimmen, Haltung und Ton sowie den Einsatz literarischer Mittel.

*

Als Lektorin bei Berenberg habe ich mit Anne an mehreren Büchern gearbeitet – es ging um Atombomben oder die Vorkriegzeit in Italien, um den Islam oder Antisemitismus. Das Buch aber, das uns für eine Weile – und vielleicht auch darüber hinaus – zusammengeschweißt hat, passt gut in dieses Jahr, obwohl es bei uns schon vor einer Weile erschienen ist: Kafkas letzter Prozess des US-amerikanischen Journalisten Benjamin Balint. (Für die gerade veröffentlichte Taschenbuchausgabe bei S. Fischer hat Anne noch ein neues Vorwort des Autors übertragen). Allein für dieses eine Buch hat Anne einen Preis verdient.

Benjamin Balint erzählt einen wahren Gerichtskrimi, es geht um den Nachlass von Max Brod, dem engen Freund Franz Kafkas, dem wir es, überspitzt gesagt, zu verdanken haben, dass wir heute überhaupt noch von Franz Kafka wissen. Als Brod und seine Frau in buchstäblich letzter Minute vor den Nazis aus Prag nach Israel flohen, hatten sie einen Koffer mit Manuskripten Kafkas dabei. Inzwischen liegt dieser Nachlass in der Israelischen Nationalbibliothek – den aufregenden Weg dorthin kann man in diesem Buch nachlesen.

Die Arbeit daran war für Anne so fordernd und besonders, dass sie darüber später einen Werkstattbericht verfasst hat, nachzulesen auf ihrer Website, die noch online steht. Ich selbst komme darin im Großen und Ganzen sehr gut weg – nur daran, dass ich ihr die Druckfahnen zwei Tage vor Weihnachten mit dem Kommentar geschickt habe, ich bräuchte das PDF dann bitte am 7. Januar wieder retour und sei auch zwischendrin nicht zu erreichen, erinnert sie sich (zu Recht!) mit leiser Empörung. Schließlich war sie selbst von der Übersetzung völlig erschöpft.

Wir sind hier ja unter uns, deswegen sei es mir gestattet, ein wenig ins Detail zu gehen. Das Buch hat gut 350 Seiten und ist gespickt mit Zitaten, sowohl im Text als auch in den Fußnoten – insgesamt um die 500 Zitate, „die meisten davon Schnipsel“, wie Anne schreibt. Da es sich um Kafka und Brod handelt, sind die meisten dieser Schnipsel ursprünglich deutschsprachig. Da es sich nicht um eine wissenschaftliche Arbeit handelt, legte der amerikanische Originalverlag keinen Wert darauf, jedes einzelne Zitat mit einer Quelle zu belegen. Der erfahrenen Anne Emmert fiel das sofort auf, und sie versuchte noch, das Buch an einen Kollegen oder eine Kollegin weiterzureichen, der oder die sich im Kafka/Brod-Universum vielleicht schon besser auskannte. Am Ende aber ließ sie sich doch auf das Abenteuer ein, machte sich auf die Suche, verbrachte wochenlang nur mit Recherchen und kam auch hier und da an ihre Grenzen:

Zwei kurze Brod-Zitate paraphrasierte ich, weil ich jeweils den gesamten Roman hätte durchackern müssen (wer schon einmal einen Roman von Brod gelesen hat, weiß, warum ich hier eine rote Linie zog, die ich dem Autor auch kommunizierte).

Problematische Stellen klärte sie mit dem Autor, der seinerseits dankbar war für Annes Hinweise auf Fehler, die ihm unterlaufen waren. Und dann begann die Arbeit am eigentlichen Text, denn schließlich klangen die zitierten „Schnipsel“ im Deutschen ja oft ganz anders als im Englischen, waren syntaktisch sperrig, so dass ganze Passagen Balints im Deutschen entsprechend umgeschrieben werden mussten.

Das alles ist nur die Spitze des Eisbergs. Es war eine intensive Arbeit, und Anne hat mit ihrer akribischen Recherche dafür gesorgt, dass dieses großartige Buch selbst im Englischen noch etwas großartiger wurde. In beiden Sprachen liest es sich spannend und elegant – eine Meisterleistung von Autor und Übersetzerin.

Dass Anne Emmert uns an ihrer Arbeit teilhaben lässt, ist übrigens kein Zufall. Der Austausch, die Zusammenarbeit mit ihren Übersetzerkolleg:innen war ihr immer wichtig, in der von ihr mitgegründeten Sachbuchwerkstatt etwa oder im Verband deutschsprachiger Übersetzer:innen literarischer und wissenschaftlicher Werke (VdÜ). Sie hat sich engagiert, war hilfsbereit und eine Vollblutübersetzerin auch in dem Sinne, dass sie immer gern über das Übersetzen gesprochen hat. Vor ein paar Jahren saßen wir im Rahmen der Mergentheimer Winterlese gemeinsam auf der Bühne, und Anne hat dafür gesorgt, dass alle, die das Vergnügen hatten, dabei zu sein, übersetzte Literatur künftig mit anderen Augen betrachteten. Und schon damals fragte sich Anne, wie es mit ihrem Beruf eigentlich weitergehen solle, wenn doch in ein paar Jahren die KI die Übersetzungsarbeit übernehmen werde. Ich fand das damals noch etwas sehr pessimistisch – heute wissen wir, dass Übersetzer:innen bei manchen Büchern tatsächlich nur noch dafür engagiert werden, die Hervorbringungen von DeepL und Co. stolperfrei zu machen. Und dafür dann womöglich noch schlechter bezahlt werden.

*

Der sommerlichen Kaffeetafel mit Katzen und Hühnern sollten noch viele Begegnungen folgen, bei literarischen Veranstaltungen in Bad Mergentheim oder am Küchentisch in Niederrimbach. Wirklich eng befreundet waren wir nicht, aber ein bisschen eben doch. Es war, und da kann ich ganz sicher im Namen vieler sprechen, immer eine besondere Freude, Anne Emmert zu sehen. Als Kollegin war sie überaus begabt, professionell und – nicht zu unterschätzen – zuverlässig, als Mensch unverstellt herzlich, heiter und zugewandt. Sie saß zeitweise im Creglinger Stadtrat und hat sich später etwa für Geflüchtete eingesetzt. Eine offene, wunderbare Person, die nicht nur mir fehlen und unvergesslich bleiben wird.

Auf der Rückfahrt aus Niederrimbach scherzten mein Mann und ich darüber, wie herrlich es doch sei, dass hier in diesem kleinen Dorf im Taubertal ein Buch wie Suketu Mehtas Bombay-Epos Maximum City ins Deutsche übertragen wurde oder das Gesamtwerk einer avantgardistischen Feministin wie Laurie Penny. Was Anne Emmert mir über Tilman Riemenschneider und das Taubertal schrieb, gilt eben auch für sie selbst: Sie „öffnet unsere sehr abgelegene Gegend“ – worunter man ja auch unsere geistigen Gegenden verstehen kann – „doch ein bisschen in die große weite Welt“.

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