Heinrich von Berenberg über »›… und es wurde Licht!‹ Jüdisch-arabisches Zusammenleben in Israel« von Igal Avidan

Verlegerpost: Anstrengender Autor 

In diesen Tagen, in denen aus Israel, Gaza und den palästinensischen Gebieten im Westjordanland schlimme Nachrichten kommen und unsere palästinensische Autorin Adania Shibli für ihr Palästinenserinnendasein unter einen unerträglichen Generalverdacht gestellt wird, möchte ich ein paar Worte verlieren über einen anderen Autor.

Man hatte mich vor Igal Avidan gewarnt, weil er ein so »anstrengender« Autor sei. Mich hat das eher interessiert und neugierig gemacht, und ich habe seitdem mit Vergnügen feststellen können, dass die Gerüchte stimmten. Igal Avidan ist wirklich ein überaus herausfordernder und anstrengender Autor und damit etwas, das ich in meinem seit ein paar Jahrzehnten andauernden Verlagsleben immer wieder gewohnheitsmäßig erleben durfte – meist eine Voraussetzung für exzellente Bücher.

Dass Igal Avidan so anstrengend ist, liegt an zwei Dingen: Er ist Israeli, und er hat ein Buch über Israel geschrieben. Das Buch ist eines der mit Abstand wichtigsten Bücher, so behaupte ich selbst, die in den vergangenen Jahren über Israel geschrieben worden sind, und er (wir auch!) ist sehr daran interessiert, dass dieses Buch viele Leser findet, weshalb er wie ein Fliegender Holländer seit Monaten Buchhandlungen, Deutsch-Israelische Gesellschaften (übrigens auch – horribile dictu – Deutsch-Palästinensische Freundschaftsclubs) und andere öffentliche Orte heimsucht, um dort über sein Buch zu sprechen. Damit dort alles läuft, meldet er sich ständig und verlangt, dass wir Dinge tun, die wir ohnehin machen: Pressearbeit, Büchertische, gegebenenfalls Hotelzimmer buchen, in denen keine Mäuse unterwegs sind, die Fahrkarten besorgt er sich selbst, und die meisten Locations, wo er seine spannenden und informativen Performances loslässt, sucht er sich auch aus. Manchmal ruft er hier an und macht alle verrückt und wütend, weil er behauptet, wir würden nichts für ihn tun. Ein anstrengender Autor halt. Ich selbst habe mich allerdings bei mehreren Gelegenheiten davon überzeugen können, dass es kaum spannendere öffentliche Auftritte von Autoren gibt, zumal von solchen, die über Israel schreiben, als die wunderbar bebilderten Performances, die Igal Avidan zu seinem Buch aufs Parkett legt. Und was ist das für ein Buch?

Es heißt »›… und es wurde Licht!‹ Jüdisch-arabisches Zusammenleben in Israel«, und Igal Avidan hat es nicht in seiner Muttersprache geschrieben, sondern auf Deutsch, das er, nach alles in allem dreißig Journalistenjahren in Deutschland, fließend beherrscht. Für mich und meine Kolleginnen war es natürlich trotzdem, gelinde gesagt, nicht ganz einfach, dieses Buch redigierend in die perfekte Passform zu bringen, aber es ist gelungen. Es ist ein Buch mit Reportagen aus Israel, in denen der Konflikt in diesem Land in aller Schärfe sichtbar wird. Es ist darin nachzulesen, auf welche Weise arabische Israelis und Palästinenser seit Jahrzehnten und nach wie vor als Bürger zweiter Klasse in Israel kujoniert werden, weshalb die Rede von Apartheid in Israel kein antisemitischer Schmarrn ist, sondern, auch von Israelis, die keinen Tunnelblick auf das eigene Land haben, als Teil einer immer anstrengender werdenden Wirklichkeit empfunden wird. Es ist auch nachzulesen, mit welcher Brutalität immer wieder von israelischen Arabern auf Israelis eingeschlagen wurde, wenn es wieder lichterloh brannte, in Akko, in Ramle, in Lod, in Haifa, in Jerusalem und an Orten, die üblicherweise nirgends in den Zeitungen stehen und im Fernsehen sowieso nicht. Aber Igal Avidan war da und hat zugehört und nachgefragt.

Es ging ihm darum zu zeigen, wie sich im nach dem Willen der israelischen Politik ausschließlich für Juden reservierten Staat Israel längst eine arabisch-israelische Zivilgesellschaft gebildet hat, für die sich die Medien und die von verurteilten Straftätern getragene gegenwärtige Regierung allerdings eher wenig interessieren, weil, wie es in einem alten, wunderbaren Text einer Ostberliner Autorin namens Christa Reinig aus den achtziger Jahren heißt: »Frieden und Eintracht, das gibt nicht viel her«. Aber nicht nur um Frieden und Eintracht geht es in Igal Avidans Reportagen, es geht sehr oft um das Gegenteil, und andauernd um die unerträglichen, von den politischen Radikalen auf beiden Seiten geschaffenen fatalen Bedingungen, die ein Zusammenleben zwischen Juden und Arabern in Israel so schwer machen – und oft genug machen sollen! Damit die orthodoxen Ochsen auf beiden Seiten zufrieden feststellen können, dass Juden und Araber hübsch ordentlich Feinde bleiben.

Am siebten Oktober kamen aus Israel die schrecklichen Nachrichten über die Sendboten der Hamas, die in Anders-Breivik-Manier feiernde junge Menschen erschossen, abschlachteten und noch etwas über ihr Vorbild hinausgingen, als sie Frauen vergewaltigten (bei dieser Gelegenheit wieder einmal zur Schau stellend, was Islamisten von Frauen halten) und Menschen als Geiseln in ihre Verstecke im Gaza-Streifen verschleppten. Es kamen, mehr in der Nähe, die Nachrichten über Männergruppen im Berliner Stadtteil Neukölln und anderswo, die diese von Hamas und anderen bevorzugte Form der Interaktion mit Feuerwerk und Süßigkeiten feierten. Und dann kam die sinnlos fürchterliche Rache, mit der alle Empörung über den Überfall vom siebten Oktober in einer Orgie aus Gewalt und Zerstörung in Gaza zugeschüttet wurde, die mit Selbstverteidigung wenig, aber mit tief sitzender pathologischer Wut über Menschen, mit denen man in Israel längst viel besser und intensiver zusammenleben könnte, als es ohnehin schon der Fall ist, offenbar sehr viel zu tun hat.

Ich habe seitdem mit unserem anstrengenden Autor telefoniert. Er ist schon wieder unterwegs, war in Bremen und anderswo, wo er vor einiger Zeit die Veranstalter mit seinen Fragen zum Prozedere fast um den Verstand gebracht hat. Offenbar war es dann eine ziemlich legendäre Veranstaltung, und es hat dort niemanden gestört, dass er, auch hier, angesichts der schlimmen Nachrichten aus Israel seine gute Laune nicht verlor und die schwächelnde Abwehr auf der rechten Seite von Werder Bremen mit der von Israel verglich. Als Jude darf er das. Die schwächelnde rechte Seite der Deutschen hat er bei dieser Gelegenheit höflich außen vorgelassen.

Es fällt scheinbar schwer, im Moment für friedliche Töne in Nahost zu werben, von hier aus. Aber tatsächlich sollte es doch eigentlich ganz leichtfallen. Ich frage mich, was im Augenblick Igal Avidans israelische und arabische Freunde machen, die in seinem Buch so bewegend zur Sprache kommen: der gemischte arabisch-israelische Frauenchor in Haifa zum Beispiel. Worüber man im nahe der libanesischen Grenze gelegenen Kibbuz Lochamei haGetaot diskutiert, wo junge Araber sich über die Shoah informieren und jederzeit die Hisbollah hineinschießen könnte. Man fragt sich, was gerade in Uri Buris Restaurant am alten Hafen von Akko los ist, ob der arabische Krankenpfleger Fadi Kassem wieder daran denkt, wie er dem Israeli Mor Ganashvili vor dem Mordversuch arabischer Randalierer das Leben rettete. Und Mahmoud Safadi, der Igal durch die Altstadt von Jerusalem führte, der Jahrzehnte als Terrorist in israelischen Gefängnissen verbrachte und dort lernte, was Israel seinen Nachbarn, theoretisch, beibringen könnte: Demokratie – was macht der? Igal berichtet mir, dass er fast jeden Tag mit ihm telefoniert und wie dankbar sie beide seien, dass sie einander kennen.

Ich kann mir gut vorstellen, dass auch die unzähligen Gesprächspartner, die Igal Avidan in Israel über das Auseinander- und Zusammenleben zwischen Juden und Arabern zum Sprechen brachte, über die Hartnäckigkeit dieses beeindruckenden Journalisten den Kopf geschüttelt haben. Aber er hat ihnen die Zunge gelöst, und das erscheint heute, wo in allen Teilen des Planeten die »Spezies Mensch« nicht nur, wie schon Paul Valéry kopfschüttelnd feststellte, »zum Angriff auf die Natur«, sondern anscheinend auch zum entschlossenen Angriff auf sich selbst angetreten scheint, doch eigentlich als das Wichtigste: Sprechen, Zuhören, Fragen stellen und ab und zu – Menschen auf beiden Seiten nicht nur im Nahen Osten, auch hier, sei es gesagt – die Nase in ein kluges, allen Ernstes der Versöhnung zwischen Arabern und Juden das Wort redendes Buch zu stecken.

Und Adania Shiblis Roman zu lesen, anstatt ahnungslos darüber zu eifern und falsche Behauptungen nachzubeten.

Lesen Sie weiter!

Ihr
Heinrich v. Berenberg

Newsletter

Bleiben Sie auf dem Laufenden und abonnieren Sie unseren Newsletter! Darin informieren wir über Neuerscheinungen, Termine und Neuigkeiten aus dem Verlag. Selbstverständlich kostenlos und jederzeit kündbar.

Newsletter Anmeldung

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Hier hat etwas leider nicht geklappt. Bitte versuchen Sie es noch einmal.